"GePP" - Gesund Psychiatrisch Pflegen
Eine anonymisierte Arbeitsunfähigkeitsanalyse derRheinhessen-Fachklinik Alzey deckte das vermehrte Auftreten psychischer Erkrankungen in der Berufsgruppe der Pflegenden auf. Daraus entstand die Frage, was die Klinik als Arbeitgeber tun kann, um gesundheitsfördernd einzugreifen.
27.08.2010
Rheinhessen-Fachklinik Alzey
Frank Müller, Pflegedirektor
„Lebensphasengerechtes Arbeiten in der Pflege“
"GePP" – Gesund Psychiatrisch Pflegen. Gesundheitsförderung durch Etablierung gesundheitsförderlicher Arbeitsstrukturen
Projektanlass
Eingebunden in die strategische Zielsetzung des Landeskrankenhauses (Anstalt des öffentlichen Rechts), dem Träger der Rheinhessen-Fachklinik, die Attraktivität der Arbeitsplätze zu erhöhen, wurden der Bedarf und die Möglichkeiten betrieblicher Gesundheitsförderung analysiert. Eine anonymisierte Arbeitsunfähigkeitsanalyse der bei der Krankenkasse „AOK“ versicherten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Klinik deckte das vermehrte Auftreten von psychischen Erkrankungen in der Berufsgruppe der Pflegenden auf. Dies ist eine Beobachtung, die sich auch mit der Analyse der Arbeitsunfähigkeitsgründe anderer Krankenkassen und anderer Einrichtungen deckt.
Daraus entstand die Frage: Gibt es arbeitsplatzbezogene Aspekte, die zur Entstehung dieser Erkrankungen beitragen und welche Veränderungsmöglichkeiten bestehen?
Da potenziell gesundheitsbeeinträchtigende Faktoren wie häufige Veränderungsprozesse, Drei-Schicht-Arbeitssystem, Doppelhierarchie und Unterbrechungen im Arbeitsfluss nicht wesentlich zu verändern sind, lag das Hauptaugenmerk auf einem gesundheitsfördernden Ansatz, der sich an salutogenetischen Vorstellungen orientiert.
Projektumsetzung
Die weitergehende Analyse zeigte, dass sich psychische Belastungen für die Beschäftigten häufig aus unklaren Verantwortungsbereichen und -zuordnungen sowie einer nicht ausreichend zielgerichteten internen Kommunikation ergeben.
In Anlehnung an arbeitspsychologische Erkenntnisse sollte das gesundheitsförderliche Potenzial genutzt werden, das in der Verfügbarkeit von Gestaltungs- und Entscheidungsspielräumen, in Verantwortungsübernahme und Partizipation steckt.
Dazu wurde das in der Rheinhessen-Fachklinik bereits vorhandene Bezugspflegesystem mit der Bezeichnung „RokoKom“ (Rollenverteilte kontinuierliche Kommunikation) genutzt. Kernelement dieses Systems ist die patientenbezogene Prozessbegleitung durch Personen aus dem Bereich der Pflege.
Diese Prozessbegleitung erstreckt sich auf den gesamten Behandlungsverlauf. Der Prozessbegleiter erstellt die Pflegeplanung, kann für den Patienten multiprofessionelle Teambesprechungen einberufen und ist dort auch für die Vorstellung des Patienten zuständig. In der Regel fungiert eine Pflegeperson für drei bis vier Patienten als Prozessbegleiter.
Die Prozessbegleiter verfügen über eine dreijährige Krankenpflegeausbildung und sind vollzeitbeschäftigt. Ausschlaggebend für die Übertragung der Funktion waren jedoch die persönliche Eignung und die Motivation der Mitarbeiter.
Als zentrale Größe zur Erreichung arbeitsförderlicher Strukturen wurde die Stationsleitungsebene identifiziert. D.h. den Ansatzpunkt des Projekts bildeten die Stationsleitungen. Diese wurden in einer fünftägigen Fortbildung für diese Aufgabe geschult und hatten zudem die Möglichkeit, sogenannte Coachingleistungen zur eigenen Unterstützung abzurufen.
Projektbeurteilung
Die Effekte dieses Projekts werden in einem Kontrollgruppendesign untersucht. Die Evaluationsergebnisse stehen noch aus.
Anschrift | Rheinhessen-Fachklinik Alzey Dautenheimer Landstraße 66 55232 Alzey |
Klinikleitung | Ärztlicher Direktor Dr. med. Wolfgang Guth Pflegedirektor Frank Müller Geschäftsführer Dr. Gerald Gaß |
Webseite | www.rheinhessen-fachklinik-alzey.de |
Ansprechpartner der Maßnahme | Frank Müller, Pflegedirektor Telefon: 06731 / 50-15 62 f.mueller@rfk.landeskrankenhaus.de André Hennig Projektkoordination und wiss. Mitarbeiter |
Anzahl der Ärztinnen/Ärzte | 75 |
Anzahl der Gesundheits- und KrankenpflegerInnen | 346 |
Anzahl der Gesundheits- und KinderkrankenpflegerInnen | 28 |
vollstationäre Planbetten | 740 |
Ausgangslage
Zielsetzung des Trägers, die Attraktivität der Arbeitsplätze zu erhöhen, mit dem Schwerpunkt der betrieblichen Gesundheitsförderung.
Die Auswertung von Arbeitsunfähigkeits-Analysen (AU) zeigt eine Häufung psychischer Erkrankungen bei MitarbeiterInnen in der Pflege. Stationsleitungen als Führungskräfte haben großen Anteil an Arbeitsbedingungen der MitarbeiterInnen
Planungen im Vorfeld
Erarbeitung einer Standortbestimmung unter Nutzung anonymisierter AU- Daten der AOK und weiterer Erhebungen zu Ausfallzeiten in der Pflege.
An der Planung beteiligte Berufsgruppen/Personen
- Pflegedienstleitung
- Geschäftsführung
- wissenschaftlicher Mitarbeiter
Externe Projektförderung
- Unfallkasse Rheinland-Pfalz
- Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen Rheinland-Pfalz
Ziele
- Erhöhung der Attraktivität des Arbeitsplatzes für die MitarbeiterInnen
- gesundheitsfördernde Gestaltung des Arbeitsplatzes
- Entwicklung von Bewältigungsstrategien bei Pflegefachpersonen, Reduktion von Ausfallzeiten
Zielgruppe
Stationsleitungen und Pflegefachpersonen
Elementare Konzeptbestandteile
- Orientierung an dem Prinzip der Salutogenese
- Befähigung der Stationsleitungen, gesundheitsfördernde Arbeitsbedingungen für Pflegefachpersonen
zu schaffen - Übertragung von Verantwortung und Ausweitung der Partizipation bei Pflegefachpersonen
Verfahren
- Fünftägige Schulung der Stationsleitungen auf der Grundlage eines Curriculums
- Coachingangebot für die Stationsleitungen während der Einführungsphase
- Nutzung des Bezugspflegemodells RokoKom® (Rollenverteilte, kontinuierliche Kommunikation): Ein Modell, in dem eine Pflegefachperson im Sinne einer Prozessbegleitung für den gesamten Behandlungsverlauf der PatientInnen in Abstimmung mit den anderen Berufsgruppen verantwortlich ist, als Vehikel, um gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen zu schaffen, d.h. die Übertragung von Verantwortung und aktive Partizipation am Behandlungs- und Pflegeprozess werden als gesundheitsförderliche Elemente genutzt.
Modell-Beispiele
Auf einer Modellstation ist eine Pflegefachperson mit einer mind. dreijährigen Ausbildung für 3-4 PatientInnen kontinuierliche AnsprechpartnerIn im gesamten Behandlungsverlauf.
Sie erstellt die Pflegeplanung, kann Fallbesprechungen einberufen und ist für die Belange der PatientInnen die HauptansprechpartnerIn.
Anfängliche Akzeptanz
Gute Akzeptanz bei den Pflegenden
Projektverlauf
- Projektverlauf
- Standortbestimmung
- Entwicklung Projektstrukturen
- Entwicklung Evaluationsdesign
- IST-Analyse
- Schulung der Stationsleitungen
- Auswahl der geeigneten pflegerischen MitarbeiterInnen für die Prozessbegleitung
- Beginn des Projektes auf den Projektstationen
- Evaluation
Projektdauer
2007-2010
Projektstruktur
- Projektleitung
- erweiterte Projektgruppe
- (wissenschaftlicher) Beirat
Projektgruppe
- Pflegedirektion
- wissenschaftlicher Mitarbeiter
- Leiterin und Mitarbeiterin des Fort- und Weiterbildungsinstitutes
- externer Moderator
Ausgangsanalyse
Eigene Standortanalyse und Vergleich mit angrenzenden Krankenhäusern im Bereich der AU und deren Hauptdiagnosen in der Pflege, Arbeitsunfähigkeitsanalyse der AOK, mit den gehäuft auftretenden Diagnosen psychischer und Verhaltensstörungen.
Evaluation der Maßnahme
Quantitiative Studie mit einer Interventionsgruppe und einer Kontrollgruppe, Auswertung der erlebten Bewältigungsfähigkeit mit dem SALSA-Fragebogen zu drei Zeitpunkten (vor, während und nach Abschluss des Projektes).
Als Evaluationsschleifen im Verlauf des Projektes über Auswertung der Interviews mit den Coaches, die Ansprechpartner der Stationsleitungen waren, die endgültige Evaluierung des Projektes findet über die Auswertung drei Fragebogenerhebungen vor, während und am Ende des Projektes statt.
Evaluationsergebnisse
Die Auswertung über ein externes Unternehmen steht noch aus.
Zielerreichungsgrad
s.o.
Übernahme der Maßnahmen in die Regelversorgung
Die Übernahme des jeweils angepassten Bezugspflegesystems Rokokom® auf alle Bereiche ist geplant.
Rückblickend besonders erfolgreich/gelungen
Konzeptionell Ansprüche des Unternehmens, der pflegerischen MitarbeiterInnen sowie der PatientInnen in Einklang zu bringen.
Rückblickend erfolglos/nicht gelungen
Die Zusammenarbeit mit den anderen Berufsgruppen war zu Beginn des Projektes aufgrund von Informationslücken von großen Widerständen geprägt.
Rückblickend anders machen
Frühzeitige Information und Einbindung aller beteiligten Berufsgruppen.
Förderliche Faktoren
Unterstützung durch die Geschäftsleitung, wissenschaftliche Begleitung und Unterstützung im gesamten Projektverlauf.
Hemmende Faktoren
Widerstand und Ängste anderer Berufsgruppen wie MedizinerInnen, PsychologInnen und SozialarbeiterInnen.
Größte Auswirkung
Noch nicht absehbar
Größte Veränderung
Verstärkte Rollendefinition der Stationsleitung im Sinne einer Führungsrolle.
Kompetenzerweiterung und Übernahme von größerer Verantwortung für den Patientenverlauf durch Pflegefachpersonen.
Einführung des Bezugspflegemodells Rokokom® und damit Etablierung eines strukturierter Begleitungsprozess für PatientInnen.
- Müller, F.; Hennig, A.: Gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen für psychiatrisch Pflegende.
In: Das Krankenhaus. Ausgabe 8/2009, S. 739-742 - Hennig, A.; Müller, F.: Führungsverhalten und Momente der Arbeit werden zur Gesundheitsressource.
In: Psychiatrische Pflege 2010; 16, S. 175-176 - Hennig, A.; Müller, F.: GePP-Projekt - Gesund Psychiatrisch Pflegen
Ein Gesundheitsprojekt zur Ausweitung der sozialen und organisationalen Ressourcen täglicher Arbeit von psychiatrisch Pflegenden im Rahmen einer wissenschaftlichen Interventionsstudie (Mai 2007 – Juni 2011)
In: Berichte aus der Pflege. Nr. 20 – März 2013