Ersteinschätzung der Patienten in der Zentralen Notaufnahme durch Pflegende

In der interdisziplinären Notaufnahme im Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim wird die Behandlungsdringlichkeit der Patientinnen und Patienten mittels des Manchester-Triage-Systems (MTS) durch Pflegende festgestellt.

Datum:

18.05.2011

Ort:

Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim gGmbH

Interviewpartner:

Frank Feinauer, Betriebswirt (FH/SRH) - Gesundheitsmanagement, Pflegedirektor

Themenkategorie:

„Neue Arbeitsteilung und Prozessgestaltung“

Maßnahme:

Ersteinschätzung der Behandlungsdringlichkeit mittels Manchester-Triage-System im Zentrum für Notaufnahme durch Pflegende

Projektanlass
Nach einer Zusammenlegung verschiedener Krankenhäuser in Bad Mergentheim stiegen die Patientenzahlen in der Notaufnahme des Caritas-Krankenhauses erheblich. Nachdem es im Jahr 1997 noch ca. 8.000 Patientenkontakte waren und seit 2002 eine interdisziplinäre Notaufnahme eingerichtet wurde, stiegen sie sukzessive bis zu momentan ca. 23.000 Patientenkontakten im Jahr. Um diesen Patientenstrom strukturiert, systematisch und risikominimiert leiten zu können, wurde im multiprofessionellen Team nach Lösungen gesucht. Eine Arbeitsgruppe bildete sich aus den pflegerischen Leitungen der zentralen Notaufnahme sowie Oberärztinnen und Oberärzten verschiedener Disziplinen. Beim 1. Deutschen Symposium Zentrale Notaufnahme 2004 in Hamburg (www.bag-zna.de) erhielten die Mitglieder der Arbeitsgruppe Informationen über verschiedene Lösungsansätze, unter anderem auch über das MTS. Ein leitender Pflegender, ein Lehrer für berufliche Weiterbildung und ein Oberarzt ließen sich zum MTS-Anwender schulen. In Zusammenarbeit mit dem klinikinternen Schulungszentrum wurden anschließend die Mitarbeiter der Zentralen Notaufnahme (ZNA) geschult, jedoch konnte wegen eines Trägerwechsels des Klinikums, der 2006 vorgenommen wurde, nicht direkt mit der Umsetzung begonnen werden.

Projektumsetzung
Nachdem auch von dem neuen Direktorium Unterstützung für die Umsetzung signalisiert wurde, begannen im April 2007 zwei Mitarbeiter, mit dem MTS zu arbeiten. Sie führten die Risikoeinschätzungen selbstständig durch und steuerten aufgrund der Behandlungsdringlichkeiten der einzelnen Patienten den gesamten Prozess. Sie bestimmten aufgrund der Ergebnisse der Einschätzung die Raumbelegung, die Behandlungsreihenfolge und die Fachdisziplin des zu informierenden Ärztlichen Dienstes.
Die Patienten wurden von den Pflegenden direkt angesprochen, die Behandlungsdringlichkeit wurde erfasst. Bei hoher Dringlichkeit wurde eine Behandlung sofort in die Wege geleitet. Das Ergebnis war so überzeugend, dass entschieden wurde, künftig das gesamte Team danach arbeiten zu lassen. Dazu wurden alle pflegenden Mitarbeiter der ZNA innerhalb des Hauses ein zweites Mal geschult. Es wurde darauf geachtet, dass das pflegerische Team aus Mitarbeiter zusammengesetzt ist, die in unterschiedlichen medizinischen Fachrichtungen Erfahrungen gesammelt haben. Zudem sollten sie mindestens drei Jahre Berufserfahrung mitbringen, da die Anwendung des MTS auf umfangreiches medizinisch-pflegerisches Fachwissen aufgebaut ist.
Zusätzlich wurden die Arbeitszeiten an die Verläufe des Patientenzustroms angeglichen, räumliche Veränderungen durchgeführt und die EDV-Anwendung an neue Erfordernisse angepasst. Die anfängliche multiprofessionelle Arbeitsgruppe wurde in einen ständigen Qualitätszirkel umgewandelt. Verbesserungen werden kontinuierlich angestrebt und umgesetzt.

Projektbeurteilung
Die Pflegenden erlangen durch die Anwendung des MTS eine hohe Entscheidungssicherheit. Die Wartezeiten in der ZNA konnten gesenkt werden. Da keine Aufnahmestation vorhanden ist, ist ein schnelles Arbeiten vonseiten der Ärzte notwendig.
Bei der regelmäßigen Überprüfung der Einschätzungen wurde zuletzt eine Quote von 97,5 %iger Richtigkeit der Einschätzungen nach MTS erlangt. Eine 100 %ige Sicherheit kann nicht erreicht werden, da bei manchen Patienten nicht alle benötigten Informationen zugänglich sind. Eine wissenschaftliche Evaluierung ist nicht erfolgt. Inzwischen schulen die pflegerischen Mitarbeiter viele Klinikmitarbeiter anderer Krankenhäuser in der Anwendung des MTS.

Name des Krankenhauses
AnschriftCaritas-Krankenhaus Bad Mergentheim
Uhlandstraße 7
97980 Bad Mergentheim
KlinikleitungHausoberer
Dipl. Theol. Thomas Wigant, M. A.

Kaufmännischer Direktor
Thomas Weber

Pflegedirektor
Frank Feinauer

Ärztlicher Direktor
Prof. Dr. med. Christoph Eingartner
Ansprechpartner der MaßnahmeFrank Feinauer
Tel.: 07931 / 58 2070
frank.feinauer@ckbm.de
Struktur- und Leistungsdaten
Anzahl der vollstationären Planbetten447
Anzahl der ärztlichen MitarbeiterInnen159
Gesundheits- und KrankenpflegerInnen300
Gesundheits- und KinderkrankenpflegerInnen46
Projektmotivation/-vorbereitung

Planungen im Vorfeld

  • Aus einer Initiative von Pflegenden und Ärztinnen/Ärzten der Notaufnahme wurde ein Projekt beantragt, das Klinikumsdirektorium stimmte dem Antrag zu und erteilte einen Projektauftrag.
  • räumliche Voraussetzungen wurden geschaffen
  • EDV-Anwendung wurde vorbereitet

Ausgangslage

  • Patientenzahlen sind gestiegen
  • kein Überblick über Behandlungsdringlichkeiten
  • kein Raummanagement
  • lange Wartezeizen für PatientInnen
  • Kommunikation zwischen pflegerischem und ärztlichem Dienst unzureichend und nicht systematisch

An der Planung beteiligte Berufsgruppen/Personen

  • Pflege
  • Ärztinnen/Ärzte
  • Schulungszentrum

Externe Projektförderung

  • keine finanzielle Unterstützung
  • mentale Unterstützung durch Jörg Krey und Peter Niebuhr / Hamburg / Deutsches Netzwerk Ersteinschätzung www.ersteinschaetzung.de
Projektumsetzung

Ziele

  • Steigerung der Versorgungsqualität der PatientInnen in der Notaufnahme (ca 23.000 PatientInnen im Jahr):
    • Verringerung der Wartezeiten
    • Risikominimierung
    • Strukturierung des Patientenstroms
    • Verbesserung der multiprofessionellen Kommunikation
  • Durch eine standardisierte und dokumentierte Ersteinschätzung erhält das Krankenhaus, die Ärztin/der Arzt und die Pflegekraft eine Rechtssicherheit. Haftungsrechtlich ist der Stellenwert des MTS dem eines Standards gleichzusetzen.

Zielgruppe

  • Pflegende der Notaufnahme

Elementare Konzeptbestandteile

  • Manchester-Triage-System (MTS): Das System zur Ersteinschätzung von PatientInnen in der Notfallaufnahme entstand 1994/95 aus der Zusammenarbeit von Ärztinnen/Ärzten und Pflegekräften der Notaufnahmen von neun Krankenhäusern in Manchester.
  • alle im Zentrum der Notaufnahme arbeitenden Pflegende werden zu MTS-AnwenderInnen geschult. Die Schulung hat den Umfang von 16 Stunden, der Inhalt gliedert sich wie folgt:
    • Einführung in das Thema
      • Geschichte der Triage
      • Unterschiedliche Methoden der Ersteinschätzung
      • Entwicklung des Systems
    • Aufbau des Systems
      • Generelle Indikatoren
      • Spezielle Indikatoren
      • Präsentationsdiagramme (50 verschiedener Beschwerdekomplexe)
      • Schmerzeinschätzung
      • Auditierung des Ersteinschätzungsprozesses
      • Methode des Risikomanagements
      • Weitere Möglichkeiten zur Prozesssteuerung im Patienten- und Raummanagement.
    • Ersteinschätzung im Massenanfall von Verletzten und Erkrankten.
    • Rechtliche Aspekte zur Einführung eines Ersteinschätzungssystems.
    • Praktische Anleitung anhand von Fallbeispielen.
  • Die Berufsgruppe der Pflegenden lenkt die Prozesse, bestimmt die Raumbelegung und bestimmt die Fachdisziplin des zu informierenden ärztlichen Dienstes.
  • auf eine Besetzung des pflegerischen Teams aus allen Fachdisziplinen wird geachtet
  • Wenn der ärztliche Leiter nicht anwesend ist, übernimmt die pflegerische Leitung die Organisationshoheit über das gesamte multiprofessionelle Team.

Verfahren

Bei Ankunft der/des Patientin/Patienten wird durch eine geschulte Pflegeperson mittels des Manchester-Triage-Systems eine Ersteinschätzung der Behandlungsdringlichkeit durchgeführt. Sie entscheidet hinsichtlich der Behandlungsreihenfolge aufgrund der Behandlungsdringlichkeit und der zu informierenden Fachrichtung des ärztlichen Dienstes. Bei Bedarf wird eine Blutprobe abgenommen und eine Verweildauerkanüle gelegt. Die PatientInnen werden über die voraussichtliche Wartezeit informiert.

Projektverlauf

Begonnen hat das Projekt damit, dass zwei Pflegende und zwei Oberärzte aus dem Team der Notaufnahme eine Basisschulung zur Anwendung des MTS machten. Diese schulten dann in Zusammenarbeit mit dem hauseigenen Schulungszentrum die restlichen MitarbeiterInnen. Wegen eines Trägerwechsels wurde der Beginn der Umsetzung in die Praxis zeitlich verschoben. Nach einer erneuten Schulung der pflegenden MitarbeiterInnen wurde im April 2007 mit der Umsetzung begonnen.

Projektdauer

Vorbereitungszeit ca 1,5 bis 2 Jahre

Projektgruppe

Pflegerische und ärztliche Leitung der Notaufnahme, neurologische Oberärztin, Oberarzt der internistischen Abteilung.

    Projektbeurteilung

    Ausgangsanalyse

    keine vorhanden

    Evaluation der Maßnahme

    • die Projektgruppe ist in einen ständigen Qualitätszirkel umgewandelt worden
    • Zehn Einschätzungsbögen jedes Pflegenden werden einmal im Quartal überprüft
    • nationale und internationele Abgleichung der Ergebnisse im "Deutschen Netzwerk Ersteinschätzung" (www.ersteinschaetzung.de)

    Evaluationsergebnisse

    97,5% der Einschätzungen erwiesen sich bei der letzten Überprüfung als richtig

    Zielerreichungsgrad

    100,00%

    Übernahme der Maßnahmen in die Regelversorgung

    01.04.2007

    rückblickend besonders erfolgreich/gelungen

    vertrauensvolle Zusammenarbeit des pflegerischen und ärztlichen Dienstes

    rückblickend erfolglos/nicht gelungen

    wünschenswert wäre eine eigenständige Leitungsstelle für die zentrale Notaufnahme im ärztlichen Dienst. 

    rückblickend anders machen

    nichts

    förderliche Faktoren

    Unterstützung seitens der Pflegedirektion, verschiedener Ärztinnen/ Ärzte und des gesamten Direktoriums.

    hemmende Faktoren

    Umstrukturierungen des Klinikums

    Eingeführte Maßnahme

    Größte Auswirkung

    • für die PatientInnen: Risikominimierung, sofortiger Erstkontakt bewirkt Sicherheit
    • für die Pflegenden: Rechtssicherheit, Professionalisierung
    • für die Ärztinnen/Ärzte: Vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem pflegerischen Dienst