Applikation von Zytostatika
Die Abteilung Hämatologie der Medizinischen Universitätsklinik Freiburg blickt auf eine lange Tradition der Applikation von Zytostatika durch das Pflegepersonal zurück. Bereits in der Mitte der 90er-Jahre wurde dies in der hoch spezialisierten Fachabteilung umgesetzt. Intravenös zu verabreichende Zytostatika, die auf einer Positivliste aufgeführt sind, werden durch examinierte Pflegekräfte appliziert. Die Qualifizierung der examinierten Pflegekräfte ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für eine rechtssichere Delegation von Aufgaben.
11.05.2011
Universitätsklinikum Freiburg
Matthias Naegele, Pflegeexperte, Medizinische Klinik, Abteilung I, Hämatologie/Onkologie
„Neue Arbeitsteilung und Prozessgestaltung“
Applikation von Zytostatika durch examinierte Pflegekräfte
Projektanlass
Die Zytostatika-Therapien in der Abteilung I des hämatologisch-onkologischen Fachbereichs sind sehr komplex, zeit- und personalaufwändig. Die Prozesse von der Zubereitung bis hin zur Applikation der Zytostatika wurden im Rahmen einer Prozessoptimierung analysiert. Die Ist-Analyse zeigte Schnittstellenproblematiken zwischen dem Ärztlichen Dienst und dem Pflegedienst auf. Ein typisches Problem war, dass die Pflegekräfte die Infusion und die Patienten vorbereitet hatten, die Infusion schon angeschlossen war, aber der Arzt, der die Applikation durchführen sollte, nicht immer sofort abkömmlich war. Dies bedeutete für die Pflegekräfte, dass sie nicht nur Wartezeiten in Kauf nehmen mussten, sondern auch nach dem Arzt suchen mussten. Das nahm erhebliche zeitliche Ressourcen in Anspruch. Die Patienten hatten ebenfalls aufgrund der langen Wartezeiten Nachteile. Für die Ärzte, die anderweitig beschäftigt waren, war diese Situation auch nicht befriedigend.
In diesem Kontext entstand die Idee, die Zytostatika-Applikation in den Verantwortungsbereich der Pflegekräfte zu legen.
Projektumsetzung
Intravenös zu verabreichende Zytostatika, die auf einer Positivliste aufgeführt sind, werden durch examinierte Pflegekräfte appliziert.
Im Vorfeld der Projektumsetzung wurde eine rechtliche Klärung der Zytostatika-Applikation durch examinierte Pflegekräfte durchgeführt. Danach ist das Tätigwerden der Pflegekräfte an bestimmte Bedingungen geknüpft, die im Rahmen des Projekts auch alle eingehalten wurden und werden. So müssen die Patienten ihr Einverständnis zur Zytostatikagabe seitens einer Pflegekraft erklären. Die Erreichbarkeit des behandelnden Arztes muss gewährleistet sein. Eine schriftliche Anordnung des zuständigen Arztes muss auf dem Chemotherapieprotokoll vorliegen. Auf diesem Protokoll ist die Delegation an das Pflegepersonal nochmals aufgeführt.
Die Medizinische Universitätsklinik Freiburg hat eine Haftpflichtversicherung für alle dienstlichen Aufgaben ihrer Mitarbeiter abgeschlossen. Über eine entsprechende detaillierte Dienstanweisung zählt die Zytostatika-Gabe zu den dienstlichen Aufgaben. Die Mitarbeitersind bei der Ausführung ihrer dienstlichen Tätigkeiten gegen einfache und grobe Fahrlässigkeit versichert.
Eine der wichtigsten Voraussetzung ist die Qualifizierung der examinierten Pflegekräfte durch interne Schulungen. Examinierte Pflegekräfte müssen bestimmte Bedingungen erfüllen, bevor sie Zytostatika applizieren dürfen. Zu den persönlichen Voraussetzungen gehört, dass sie mindestens eine einjährige Berufserfahrung vorweisen müssen. In der Fachabteilung, in der Zytostatika-Gaben verabreicht werden, müssen sie mindestens ein halbes Jahr tätig sein. Die Stationsleitung nimmt eine Eignungsprüfung vor und muss einer Schulung zustimmen.
Die Übernahme der Applikation ist erst nach einer theoretischen Schulung und einem Praxischeck möglich. Inhalte der Schulung sind u. a. die pflegerischen Aspekte der Zytostatika-Gabe, die Pharmakologie von Zytostatika, Komplikationen bei der Verabreichung sowie Kenntnisse über onkologische Notfälle.
Im Anschluss an die theoretische Schulung erfolgen drei Praxischecks. Inhalte der Praxischecks sind u. a. die Applikation von drei verschiedenen stationsspezifischen Zyklen unter Anleitung, die Kenntnisse über die Grenzen der Durchführungsverantwortung, Überwachung der Patienten gemäß den zu erwartenden Begleiterscheinungen sowie die Einbeziehung der Patienten und die Berücksichtigung der korrekten Applikation sowie die grundpflegerische Versorgung und die psychische Betreuung.
Nach Durchlaufen dieser Grundschulung und der Praxischecks findet ein Abschlussgespräch statt und durch die Unterschrift des zuständigen Oberarztes und der Stationsleitung sind die Mitarbeiter berechtigt, Zytostatika-Gaben zu übernehmen.
Vom Tag des Grundkurses an durchläuft die Pflegekraft ein modulares Schulungskonzept. Hierbei handelt es sich um eine Vorlesungsreihe, die unterschiedlichste Themen, die in Verbindung mit der Applikation von Zytostatika stehen, behandelt. Jeder Mitarbeiter, der bereits den Grundkurs und die Erstqualifikation durchlaufen hat, muss alle zwei Jahre nachweisen, dass er an vier Veranstaltungen teilgenommen hat. Damit verlängert sich die Qualifikation um weitere zwei Jahre.
Die Pflegekräfte übernehmen über ihre sonstigen Tätigkeiten hinaus im Rahmen dieses Projektes vor allem das gründliche Inspizieren des intravenösen Zugangs und das Einschätzen der Eignung des venösen Zugangs für eine Zytostatika-Therapie. Eine weitere wichtige Aufgabe ist die korrekte Lage des Zugangs.
Projektbeurteilung
Das Projekt ist aus Sicht der Medizinischen Universitätsklinik Freiburg äußerst erfolgreich. Bei rund 10.000 Zytostatika-Applikationen und einem angenommenen Zeitaufwand von drei Minuten je Applikation kommt ein Mehraufwand von rund 500 Stunden pro Jahr auf die Pflegekräfte der Abteilung zu. Dem steht aber eine deutlich verminderte Wartezeit auf den Arzt entgegen. Für die Ärzte liegt ebenfalls eine Entlastung vor, da sie anderen Tätigkeiten nachkommen können und nicht gezwungen sind, die Applikation von Zytostatika selbst durchzuführen. Auf Patientenseite ist ebenfalls eine Verbesserung festzustellen, da unnötige Wartezeiten durch Schnittstellenprobleme entfallen.
Anschrift | Universitätsklinikum Freiburg Hugstetter Str. 55 79106 Freiburg | |
Klinikleitung |
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Webseite | www.uniklinik-freiburg.de | |
Ansprechpartner der Maßnahme | Matthias Naegele matthias.naegele@uniklinik-freiburg.de |
Planbetten | 1.484 |
Ärztinnen/Ärzte insgesamt (außer Belegärztinnen/Belegärzte) | 1.072,4 |
Gesundheits- und KrankenpflegerInnen | 1.693,3 |
Gesundheits- und KinderkrankenpflegerInnen | 227,9 |
KrankenpflegerInnen | 21,9 |
PflegehelferInnen | 39,1 |
Ausgangslage
- Die erkannten Schnittstellenprobleme bei der Applikation von Zytostatika sollten durch eine Prozessänderung beseitigt werden.
Planungen im Vorfeld
- Juristische Gutachten zur Delegation der Zytostatikagabe wurden erstellt.
- Abstimmungen mit der Haftpflichtversicherung sind erfolgt.
- Detaillierte Dienstanweisungen wurden entwickelt.
Am Projekt beteiligte Berufsgruppen/Personen
- Ärztlicher Dienst
- Pflegedienst
- Justitiariat
Externe Projektförderung
- keine externe Förderung
Ziele
- Prozessoptimierung
- Entlastung der Ärztinnen und Ärzte sowie der Pflegekräfte durch eine Änderung der Prozesse
Projektdauer
- Seit 1994
Maßnahme zur Evaluation
- Es wurde das Auftreten von Paravasaten untersucht. Hier schneidet die Universitätsklinik Freiburg mit 0,03% bei 10.000 Gaben im Vergleich zum aus der Literatur bekannten Wert von 0,1 bis 0,5% sehr gut ab.
Rückblickend besonders erfolgreich/gelungen
- Vorteilhaft ist, dass durch die Prozessänderung sowohl der Ärztliche Dienst als auch der Pflegedienst profitieren konnten. Bei beiden Berufsgruppen ist eine zeitliche Entlastung erkennbar.
- Eine erfolgreiche Kooperation zwischen beiden Berufsgruppen liegt vor.
Rückblickend erfolglos/nicht gelungen
- Die Schulungsmaßnahmen wurden mehrfach seit Beginn der Maßnahme angepasst. Der ursprüngliche umgesetzte Schulungsaufwand war zu umfangreich.
- Die formelle Kontrolle der Befähigung der Pflegekräfte nimmt Zeit in Anspruch.
- Examinierte Pflegekräfte können unter bestimmten persönlichen Voraussetzungen und bei Vorliegen einer nachgewiesenen Qualifizierung Zytostatika applizieren.
- Die rechtlichen Voraussetzungen hierfür sind u.a. die Zustimmung der Patientin/des Patienten, die schriftliche Anordnung der Ärztin/des Arztes und ein Weigerungsrecht der Pflegekräfte in berechtigten Einzelfällen.