Altenpflegerinnen betreuen Patienten mit kognitiver Einschränkung

Im St. Franziskus-Hospital in Münster betreuen fünf Altenpflegerinnen Patientinnen und Patienten mit kognitiven Einschränkungen vor, während und nach einer Operation. Dieses Geriatrieteam wird ärztlich geleitet und ist der Klinik für Anästhesie angegliedert.

Datum:

17.02.2012

Ort:

St. Franziskus-Hospital Münster

Interviewpartner:

Dr. Simone Gurlit, Oberärztin – Leitung Geriatrieteam

Themenkategorie:

„Neue Arbeitsteilung und Prozessgestaltung“

Maßnahme:

Altenpflegerinnen betreuen Patienten mit kognitiver Einschränkung

Projektanlass
Insbesondere Patienten mit höherem Lebensalter sind in der postoperativen Phase gefährdet, ein Delir zu entwickeln. Dies verlängert den Krankenhausaufenthalt und ist verbunden mit der Gefahr andauernder kognitiver Einschränkungen, Institutionalisierung und hoher Mortalität.  Diese Ausgangslage führte zu einem ersten Bundesministerium für Gesundheit finanzierten Projekt mit dem Titel „Maßnahmen zur Verhinderung eines perioperativen Altersdelirs“. Eingestellt wurden drei Altenpflegerinnen, welche hochaltrige Patienten vor allem in der perioperativen Phase als verlässliche Bezugspersonen begleiten. Die angstreduzierende Betreuung der Patienten ermöglicht schonende Narkoseformen, z.B. eine Spinalanästhesie ohne den Einsatz von Benzodiazepinen bei Ersatz einer Endoprothese des Hüftgelenks, sodass deren delirogene Wirkung vermieden wird.

Zwischen 2003 und 2008 wurden ca. 2.500 Patienten in dieser Form betreut. Es zeigte sich, dass die Delir-Raten überzeugend niedrig waren (z.B. erlitten Patienten mit einer hüftgelenksnahen Oberschenkelfraktur in 7–10 % ein Delir vs. 44–60 %, die in der Literatur angegeben werden). Die neue Berufsgruppe hat sich inzwischen etabliert und genießt von Ärzten sowie Pflegenden Wertschätzung.
Neben einer veränderten Narkoseführung konnten weitere Risikofaktoren für das Erleiden eines Delirs identifiziert werden. Es wurde festgestellt, dass das Risiko für z.B. unfallchirurgische Notfallpatienten, ein Delir zu erleiden, besonders hoch ist. Entscheidend dabei ist, wie ausgeprägt die kognitive Einschränkung vor dem Krankenhausaufenthalt ist und dass eine fremde Umgebung und erzwungene Untätigkeit zum Verlust von alltagspraktischen Fähigkeiten führen.
Aus diesen Erkenntnissen entstand ein zweites Projekt, welches als Leuchtturmprojekt Demenz „Risiko ,Operation' bei vorbestehender kognitiver Einschränkung“ vom BMG gefördert wurde.

Projektumsetzung
Nachdem der Schwerpunkt der Tätigkeit des Geriatrieteams bisher im perioperativen Setting lag, wurde der Aufgabenbereich nun ausgeweitet. Das Team wurde von bisher drei auf fünf Mitarbeiterinnen aufgestockt. Anhand einer Vergleichsstudie wurde untersucht, welche Auswirkungen gezielte Maßnahmen auf ältere Patienten (65+) einer unfallchirurgischen Station mit kognitiven Einschränkungen haben. Es wurden alle unfallchirurgischen Notfallpatienten, bei denen eine Operation durchgeführt werden sollte, mittels TFDD – Test zur Früherkennung von Demenzen mit Depressionsabgrenzung – und Uhrentest bei Aufnahme und Entlassung getestet. Bei Hinweisen auf unter den gegebenen Bedingungen vorliegende kognitive Einschränkungen wurden die Patienten in das Betreuungsprogramm aufgenommen. Zu den Maßnahmen gehörten neben der bereits etablierten perioperativen Begleitung engmaschige Besuche der Patienten durch die Altenpflegerinnen auf der peripheren Station. Unabhängig vom Stellenplan der Pflegenden, jedoch in enger Abstimmung mit den Pflegenden der Station, versuchten die Altenpflegerinnen die Patienten zu fordern und zu fördern. Je nach Bedarf konnte das eine Unterstützung beim Essen, bei der Mobilisation, ein Gedächtnistraining oder ein anderes Beschäftigungsangebot sein.
Durch regelmäßige Fallbesprechungen auf den peripheren Stationen mit Vertretern aus dem Geriatrieteam, der Physiotherapie, dem Sozialdienst, dem Pflegerischen Dienst und der Ärztlichen Leitung des Geriatrieteams konnten die gesamten Abläufe optimiert werden. Nach dem Grundsatz „heim statt Heim“ wurde die frühzeitige Entlassung in die heimische Umgebung damit gefördert, dass vom Krankenhaus aus eine hochfrequente Physiotherapie für zu Hause organisiert wurde.
In der Vergleichsklinik wurden Patienten mit den gleichen Einschlusskriterien identifiziert. Mit ihnen wurden die gleichen kognitiven Tests durchgeführt, es fand jedoch keine spezifische Intervention statt. Nach sechs Monaten wurden die teilnehmenden Patienten beider Kliniken in ihrem jeweiligen Lebensumfeld aufgesucht und deren postoperativer, gesundheitlicher Verlauf verglichen.

Projektbeurteilung
Die Ergebnisse der Vergleichsstudie zeigen, dass sich die Interventionen sowohl ökonomisch als auch in Bezug auf die Versorgungsqualität positiv auswirken. Die zusätzlichen Kosten durch die spezielle Begleitung durch das Altenpflegeteam konnten durch Liegezeitverkürzungen mehr als kompensiert werden. Nach Projektende wurde das Screening aller unfallchirurgischen Notfallpatienten und Risikopatienten, die für eine elektive Operation angemeldet sind, und die Betreuung der Patienten durch das Geriatrieteam auf den Stationen als Regelangebot beibehalten. Die zwei zusätzlichen Altenpflegerinnen wurden übernommen. Voraussetzung für das Screening ist, dass die Patienten über 65 Jahre alt sind oder bereits eine entsprechende Vorgeschichte des Patienten bekannt ist. Durch die regelmäßigen Fallbesprechungen auf den Peripherstationen entstand ein Problembewusstsein, wodurch interdisziplinäre Abläufe optimiert und weitere Projekte von der Pflege initiiert werden konnten. Durch die umfassende Sensibilisierung zum Thema Demenz hat sich die interdisziplinäre Zusammenarbeit etabliert, wichtig natürlich für eine Klinik, die keine gesonderte geriatrische Station aufweist. Inzwischen ist das Angebot regional so bekannt, dass sich sowohl Hausärzte und Fachärzte als auch Altenheime oder Angehörige speziell bei Anmeldung auf dieses Betreuungsangebot beziehen.

Name des Krankenhauses
AnschriftSt. Franziskus-Hospital Münster
Hohenzollernring 72
48145 Münster
KlinikleitungGeschäftsführung
Dipl.-Kfm. Burkhard Nolte

Ärztlicher Direktor
Prof. Dr. med. Michael Möllmann
Pflegedirektor
Leonhard Decker

Verwaltungsdirektor
Dr. rer. pol. Ansgar Klemann
Webseitewww.sfh-muenster.de
Ansprechpartnerin der MaßnahmeDr. Simone Gurlit
simone.gurlit@sfh-muenster.de
Struktur- und Leistungsdaten
Zahl der vollstationären Planbetten562
Anzahl der ärztlichen MitarbeiterInnenca. 270
Gesundheits- und KrankenpflegerInnen 
Gesundheits- und KinderkrankenpflegerInnenzusammen ca. 630
Projektmotivation/-vorbereitung

Ausgangslage

  • Seit 2003 Regelversorgung von kognitiv beeinträchtigten PatientInnen perioperativ durch drei AltenpflegerInnen (Projekt wurde initiiert durch eine Anästhesistin). Dieses Angebot erlaubte eine schonende Anästhesie und führte zu einer Reduktion der Delirrate. Weitere Faktoren für ein Delir wie der Grad kognitiver Einschränkungen und demenz- /depressionsbedingter Verhaltensauffälligkeiten vor dem KH-Aufenthalt, der Verlust von alltagspraktischen Fähigkeiten durch fremde Umgebung und erzwungene Untätigkeit wurden in einem weiteren Projekt aufgegriffen.

Planungen im Vorfeld

  • Kooperation mit einer Vergleichsklinik

An der Planung beteiligte Berufsgruppen/Personen

  • Klinik für Anästhesie, AltenpflegerInnen

Externe Projektförderung

  • Im Rahmen des Leuchtturmprojektes Demenz durch das Bundesministerium für Gesundheit
Projektumsetzung

Ziele

  • Verbesserung der Versorgungsqualität, frühestmögliche Entlassung, „heim statt Heim“, Sensibilisierung in der gesamten Klinik für die Bedürfnisse von Menschen mit kognitiven Einschränkungen.

Zielgruppe

  • PatientInnen älter als 65 Jahre, mit kognitiver Einschränkung, welche unfallchirurgisch mittels einer Operation behandelt werden müssen

Elementare Konzeptbestandteile

  • Geriatrieteam bestehend aus fünf weitgehend selbständig arbeitenden AltenpflegerInnen – der Klinik der Anästhesie zugeordnet – Testung der über 65-jährigen PatientInnen mittels Minimental- und Uhrentest –  Interdisziplinäre Arbeitsweise, Einbindung von Physiotherapie, Schmerztherapie, haushaltsnahen Dienstleistungen nach der Entlassung

Verfahren

  • Screening auf kognitive Einschränkungen bei Aufnahme und Entlassung aller unfallchirurgischen NotfallpatientInnen mit Fraktur, die älter als 65 Jahre sind durch AltenpflegerInnen – Fallbesprechungen auf den Stationen, zweimal die Woche – intensive Betreuung der PatientInnen durch das Geriatrieteam perioperativ und auf den Stationen – Organisation von hochfrequenter Physiotherapie nach Entlassung

Anfängliche Akzeptanz

  • Der Einsatz der Altenpflegerinnen in der perioperativen Begleitung von Menschen stieß anfangs auf Skepsis der Ärzteschaft. Die erweiterte Tätigkeit des Geriatrieteams auf den Stationen führte zu Beginn zu einer Konkurrenzsituation mit den dort tätigen Gesundheits- und KrankenpflegerInnen. 

Projektverlauf

  • Das Projekt konnte wie geplant etabliert werden.

Projektdauer

  • 2008 bis 2010

Projektgruppe

  • AltenpflegerInnen, Oberärztin der Anästhesie
Projektbeurteilung

Ausgangsanalyse

  • Die Patientendaten der Jahre 2003 bis 2008 wurden als Ausgangsanalyse herangezogen.

Evaluation der Maßnahme

  • Medizin-ökonomische Kosten-Nutzen-Analyse

Evaluationsergebnisse

  • Durch Liegezeitverkürzung werden die zusätzlichen Personalkosten überkompensiert. Nach hüftgelenksnaher Fraktur: – Mortalitätsrate bei PatientInnen mit Betreuung niedriger (3,25% (betreut) versus 12.12% (nicht betreut)) – Verweildauer niedriger (15,6 Tage (betreut) versus 20,3 Tage (nicht betreut)) – kognitive Verbesserung zur Entlassung (78,15% (betreut) versus 58,62% (nicht betreut) – weitere kognitive Verbesserung nach 6 Monaten (40,4% (betreut) versus 20% (nicht betreut).

Zielerreichungsgrad

  • Die Ziele wurden überwiegend erreicht.

Übernahme der Maßnahmen in die Regelversorgung

  • Ab 2010 werden hochaltrige PatientInnen bei elektiven Operationen und in Notfallsituationen auf kognitive Einschränkungen getestet. Bei Auffälligkeiten werden sie vom Geriatrieteam bis zur Entlassung betreut.

Rückblickend besonders erfolgreich/gelungen

  • Sensibilisierung für das Thema bei allen Berufsgruppen – die Berufsgruppen haben sich gegenseitig befruchtet – Etablierung einer neuen Berufsgruppe – Betreuungskontinuität ist gewährleistet.

Rückblickend anders machen

  • Die Pflegedirektion sowie weitere Angehörige der Berufsgruppe der Pflegenden hätten frühzeitiger in den Veränderungsprozess einbezogen werden können.

Förderliche Faktoren

  • Unterstützung durch den Chefarzt der Anästhesie und der Geschäftsführung – dadurch, dass das Betreuungsangebot ärztlich initiert worden ist, konnte der ärztliche Dienst leichter in die Veränderungsprozesse einbezogen werden.

Hemmende Faktoren

  • Die interdisziplinäre Zusammenarbeit musste erst entwickelt werden; dies gilt sowohl für die Zusammenarbeit im OP, wo die AltenpflegerInnen eine neue Berufsgruppe darstellen als auch zwischen der Gesundheits- und Krankenpflege und der Altenpflege.
Eingeführte Maßnahme

Größte Auswirkung

  • Sensibilisierung für das Thema im gesamten Haus ist gestiegen, Anschlussprojekte sind geplant.
Publikation der Maßnahme