Einführung von Primärer Pflege
Das Caritas-Krankenhaus St. Josef Regensburg begann im Jahr 1993 mit der Umstellung des Klinikbetriebs auf prozessorientierte Abläufe, wobei der Gesamtprozess von der Aufnahme bis zur Entlassung auf den Prüfstand gestellt wurde. Dadurch entstand das prozessorientierte Krankenhaus.
08.02.2011
Caritas-Krankenhaus St. Josef Regensburg
Michael Frank, Direktor des Pflege- und Patientenmanagements
„Neue Arbeitsteilung und Prozessgestaltung“
Einführung des Pflegeorganisationssystems der Primären Pflege als ein Modul eines umfassenden Reorganisationsprozesses von der Aufnahme bis zur Entlassung
Zuerst wurde eine Neustrukturierung der elektiven Patientenaufnahme (ZPA) und der Notaufnahme unter Ergänzung eines zentralen Belegungsmanagements (ZBM) vorgenommen, woraus sich ein integratives Aufnahmekonzept mit dem Ziel einer massiven Verweildauerverkürzung entwickelte. Die Veränderungen haben konventionelle Strukturen grundlegend verändert, Ressourcen geschont, Planbarkeit verbessert und vor allem die Patienten in den Mittelpunkt gestellt. Des Weiteren wurde das Pflegeorganisationssystem der Primären Pflege implementiert, woraus sich ein professionelles und kontinuierliches Fallmanagement auf der Stationsebene bildete. Das Pflegesystem wurde auf allen Stationen und der Intensivstation eingeführt. Darüber hinaus wurde auch die Arbeitsteilung zwischen den Berufsgruppen völlig neu definiert.
Projektanlass
Nachdem das Caritas-Krankenhaus St. Josef in den Jahren 1992 und 1993 Millionendefizite zu verzeichnen hatte, wurde eine externe Firma mit einem Optimierungsgutachten beauftragt und ein kontinuierlicher Organisationsentwicklungsprozess angestoßen. Die Prozesse des Krankenhauses wurden grundlegend analysiert und sukzessive verändert. Nach der Zentralisierung der Patientenaufnahme und des Belegungsmanagements wurde deutlich, dass die Prozessorientierung auch die Stationen betreffen muss. Die fehlende Kontinuität der Patientenversorgung wurde unter anderem durch eine Messung der pflegerischen Ansprechpartner eines Patienten eruiert. Ein Patient mit einem ca. 12-tägigen Aufenthalt hatte ca. 14 Pflegefachkräfte als Ansprechpartner. Zu dieser Zeit arbeiteten die Pflegefachkräfte im System der Bereichspflege, wo die Verantwortung und Kontinuität in der pflegerischen Versorgung nicht im Vordergrund standen. Zudem kam es häufig zu Informationsdefiziten, da Absprachen im therapeutischen Team nicht koordiniert wurden.
Die Klinikleitung entwickelte den Grundsatz, den Pflegedienst nicht nur als Kostenfaktor sondern als Erfolgsfaktor zu betrachten. Es wurden zur Einführung der Primären Pflege strategische Grundsatzentscheidungen getroffen, bei denen die Stationsleitungen eine wichtige Rolle im prozessorientierten Krankenhaus einnahmen, da sie die Mitarbeiter in die Veränderungsprozesse einbanden und begleiteten. Die Stationsleitungen wurden zu den Prozesstreibern. Jede examinierte Pflegefachkraft kann als Primäre Pflegekraft arbeiten und den Aufgabenbereich des Fallmanagers und damit auch Prozessverantwortung übernehmen.
Projektumsetzung
Bei der Projektumsetzung hat sich die Direktion für Pflege- und Patientenmanagement (DPP) an den Grundsatzentscheidungen und den Kernelementen des Systems der Primären Pflege nach Marie Manthey orientiert. Damit die Stationsleitungen die dafür erforderliche Führungskompetenz erhalten, wurden sie von einer Arbeits- und Organisationspsychologin während der gesamten Projektphase geschult und beraten. Im gesamten Krankenhaus wurde eine Führungskultur entwickelt, um die Mitarbeiter zu befähigen, selbst Entscheidungen zu treffen, diese zu verantworten und Rechenschaft dafür abzulegen (Empowerment). Außerdem wurde im Pflegedienst „Management by Objectives“ eingeführt und mit den Stationsleitungen Jahresziele vereinbart, die an Prämien gekoppelt sind. Die Stationsleitungen samt Mitarbeitern sollen ihre tägliche Arbeit an ihren Zielen ausrichten und so im Sinne der betriebswirtschaftlichen Prozessstrategie arbeiten. Die Ziele werden am Jahresende durch die Mitarbeiter der Direktion für Pflege- und Patientenmanagement überprüft. Der prozentuale Anteil der Prämienausschüttung richtet sich nach dem Erreichungsgrad der einzelnen Ziele.
Die Direktion für Pflege- und Patientenmanagement erstellte im Jahr 2004 die Gesamtprojektplanung für die Einführung des Pflegesystems der Primären Pflege. Auf dieser Grundlage wurden individuelle Planungen für die Stationen in Zusammenarbeit mit den Stationsleitungen angepasst. Entsprechend des Grundsatzes des Empowerments wurden spezielle Strukturen für die organisatorische Umsetzung des Pflegesystems der Primären Pflege auf den Stationen geschaffen. Dazu wurden Planungsgruppen auf den Stationen etabliert. In geheimer Wahl wurden drei bis vier Mitarbeiter einer Station in die Planungsgruppe gewählt. Die Mitglieder der Planungsgruppe vertreten das gesamte Team und erarbeiten mit allen Mitarbeitern Lösungsvorschläge für die Einführungsschritte. Dadurch wurde die Primäre Pflege für jede Station maßgeschneidert umgesetzt. Die Stationsleitungen wurden intern durch die DPP begleitet und gecoacht.
Damit jede Pflegefachkraft als Primäre Pflegekraft das Fallmanagement übernehmen kann, wurde ein spezielles Personalentwicklungsprogramm aufgesetzt, welches verschiedene Module, wie beispielsweise die Entwicklung von Beratungsexpertisen oder Grundlagenschulungen zu den diagnosebezogenen Fallgruppen (Diagnosis Related Groups bzw. DRG), enthält. Außerdem wurden im Rahmen der prozessorientierten Aufgabenverteilung Servicekräfte und Kodierassistenten auf den Stationen eingesetzt.
Die Berufsfachschule für Gesundheits- und Krankenpflege des Caritas-Krankenhauses St. Josef wurde in die Überlegungen des Systemwechsels einbezogen. Inzwischen wurde ein auf die Primäre Pflege bezogenes Curriculum entwickelt und umgesetzt.
Projektbeurteilung
Die Durchdringung des Pflegesystems der Primären Pflege auf den Stationen wird regelmäßig mit dem Instrumente zur Erfassung des Pflegesystems (IzEP) gemessen. Bei der letzten Messung erlangten alle Stationen einen Wert von über 75 %. Nur eine Station erlangte 85 %, wobei der angestrebte Wert der Direktion für Pflege- und Patientenmanagement bei 90 % liegt. Patientenbefragungen durch das Institut für Qualitätsmessung und Evaluation (IQME) und die Techniker Krankenkasse ergaben ein positives Ergebnis hinsichtlich der Patientenzufriedenheit. Die Zufriedenheit der Auszubildenden der Gesundheits- und Krankenpflege zur Einführung und Ausbildung in der Primären Pflege wird mit einem Fragebogen ermittelt. Die Stationen bekommen die Ergebnisse der Auswertung und erhalten somit Hinweise zu Verbesserungspotenzialen. Mitarbeiterbefragungen werden alle vier Jahre durchgeführt, bei denen auch Fragen zur Primären Pflege integriert sind.
Anschrift | Caritas-Krankenhaus St. Josef Regensburg Landshuter Straße 65 93053 Regensburg | |
Klinikleitung |
| |
Webseite | caritasstjosef.de | |
Ansprechpartner der Maßnahme | Direktion für Pflege-und Patientenmanagement Michael Frank Tel.: 0941 / 782 2610 mfrank@caritasstjosef.de |
Zahl der vollstationären Planbetten | 311 |
Anzahl der ärztlichen MitarbeiterInnen | 111 |
Gesundheits- und KrankenpflegerInnen | 149 (ohne Dialyse, OP, Anästhesie und Nothilfe) |
Anzahl der Gesundheits- und KinderkrankenpflegerInnen | 12 |
Ausgangslage
- Veränderungen im Gesundheitswesen, Einführung der DRGs
- seit 1993 Organisationsentwicklungsprozess
- Entwicklung des prozessorientierten Krankenhauses mit den Modulen zentrales Belegungsmanagement, zentrale Patientenaufnahme, Primäre Pflege, Prozessorientierte Aufgabenverteilung
Planungen im Vorfeld
- Literaturrecherche / Hospitation auf einer psychiatrischen Station
- Erstellen eines Projektplans
- Einholen des Einverständnisses aller Klinikdirektoren
An der Planung beteiligte Berufsgruppen/Personen
- Direktor für Pflege- und Patientenmanagement
- stellvertretende Direktorin für Pflege- und Patientenmanagement
- Assistentin der Direktion für Pflege- und Patientenmanagement
- Stationsleitungen der 3 Pilotstationen
- externe Beratung durch Petra Schütz-Pazzini / Organisationsberatung im Gesundheitswesen
Externe Projektförderung
- Keine externe Förderung
Ziele
- Pflege übernimmt Prozessverantwortung
- optimierte Patientendurchlaufsteuerung
- Steigerung der Behandlungsqualität
- Steigerung der Patientenzufriedenheit/Patientenorientierung
- Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit
Zielgruppe
- Berufsgruppe der Pflegenden
Elementare Konzeptbestandteile
- Stationsleitung ist Prozesstreiber
- jede examinierte Pflegeperson kann als Primäre Pflegekraft arbeiten
- die Primäre Pflegekraft ist FallmanagerIn
- dezentrale Führung, Führung nach dem Empowerment-Prinzip
- Nach den fünf Kernelementen von Mary Manthey
Verfahren
Nach dem Zentralen Belegungsmanagement und der zentralen Patientenaufnahme koordiniert die Primäre Pflegeperson den gesamten Behandlungsprozess der PatientInnen auf Station und übernimmt die persönliche Verantwortung für den Pflegeprozess.
Modell-Beispiele
anfängliche Akzeptanz
- Bei vielen MitarbeiterInnen gab es große Widerstände, andere waren direkt Feuer und Flamme.
Projektverlauf
- 1,5 Jahre Vorbereitung und Diskussion mit den Stationsleitungen der 3 Pilotstationen
- Einführung von Planungsgruppen: 3 bis 4 in geheimer Wahl gewählte VertreterInnen der Station
- Umsetzung der Primären Pflege durch Stationsleitungsteam (Stationsleitung mit zwei VertreterInnen) und Planungsgruppe
- Begleitung der Umsetzung durch Direktion für Pflege- und Patientenmanagement
- Weiterbildung der examinierten Pflegepersonen zu FallmanagerInnen
- Einführung von neuen Berufsgruppen: Servicekräfte und CodierassistentInnen
- Fortbildung der Führungskräfte im ganzen Haus nach LEO (Leading an empowered organisation) und movere (beides durch Petra Schütz-Pazzini)
Projektdauer
- 2003 bis 2008
Projektgruppe
Stationsleitungsteam plus Planungsgruppe, Einzelplanungen auf den Stationen:
- jeden Monat Projektgruppentreffen (Bearbeiten von inhaltlichen Themen)
- vierteljährliche externe Beratung (Führungsthemen)
- Gesamtprojektplanung durch Direktion für Pflege- und Patientenmanagement
- Monatsgespräche in zweimonatigen Abständen (Besprechung der Projektplanung): Direktion für Pflege- und Patientenmanagement mit Stationsleitungsteam
Ausgangsanalyse
- Optimierungsgutachten der Firma Procura 1993
Evaluation der Maßnahme
- Jahresziele, die in den Monatsgesprächen erarbeitet werden, werden kontinuierlich evaluiert.
- Patientenbefragung durch das Institut für Qualitätsmessung und Evaluation (IQME)
- Beurteilung des Pflegesystem mit dem Instrument zur Erfassung von Pflegesystemen (IzEP)
- Techniker Krankenkasse - Klinikführer 2009
- Mitarbeiterbefragungen durch externe Firma alle 4 Jahre
Evaluationsergebnisse
- Die Ergebnisse der Patientenbefragung durch das Institut für Qualitätsmessung und Evaluation (IQME) im September 2010 ergab, dass das Caritas-Krankenhaus St. Josef im Vergleich zu 47 anderen Häusern zu allen pflegerischen Themen positive Benchmarks setzte: -Erreichbarkeit Pflege - Umgang Pflegekräfte - Info durch Pflegekräfte - Pflegerische Betreuung
- IzEP – Messergebnis 2009 : 85% (Auf einer Skala von 100% ist im unteren Bereich bis ca. 40% die Funktionspflege, bis ca. 60 % die Bereichspflege, ab ca. 75% Primary nursing verortet)
- http://www.tk.de/tk/klinikfuehrer/175362
- Erst bei der nächsten Mitarbeiterbefragung sind Fragen zur Primären Pflege integriert
Zielerreichungsgrad
- die angestrebten Ziele wurden erreicht
Übernahme der Maßnahmen in die Regelversorgung
- Das System wurde auf 9 Stationen eingeführt. Ausgenommen ist die Station 1, eine Tagesklinik mit Chemotherapie.
rückblickend besonders erfolgreich/gelungen
- primäre Pflegeperson als Fallmanagerin
- Möglichkeit der Professionalisierung der examinierten Pflegepersonen
rückblickend anders machen
- Einbindung der Ärzteschaft von Beginn an
- Vorbereitungsphase abkürzen durch klares Konzept der Pflegedirektion
förderliche Faktoren
- Klinikleitung stand hinter der Umsetzung
- strategische Ausrichtung der Klinikleitung: Pflegedienst ist ein Erfolgsfaktor
hemmende Faktoren
- lange Diskussion mit den MitarbeiterInnen
größte Auswirkung
- Steigerung der Patientenzufriedenheit
- höhere Arbeitszufriedenheit der Pflegenden durch mehr Handlungsspielraum
- geringer Informationsverlust durch Koordination eines Verantwortlichen
- Erlösoptimierung durch Verbesserung der Codierqualität